Stellungnahme vom 07.07.2023

Entwurf eines Gesetzes zur Zulassung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen, zur Erleichterung des Einsatzes von Steckersolargeräten und zur Übertragbarkeit beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten für Erneuerbare-Energien-Anlagen

Zusammenfassung:

Die Bundesnotarkammer unterstützt grundsätzlich die Bemühungen des Gesetzgebers, die Möglichkeiten der Digitalisierung in allen Lebensbereichen zu nutzen. Der Einsatz digitaler Mittel darf jedoch nicht zu Lasten der Rechtssicherheit oder von Schutzniveaus gehen, die in der analogen Welt mit guten Gründen vorgesehen werden. Die Schaffung einer Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer für rein virtuelle Wohnungseigentümerversammlungen (§ 23 Abs. 2a WEG-E) sehen wir daher in der vorgeschlagenen Ausgestaltung nicht unproblematisch. Reine Online-Versammlungen auf Grundlage eines Mehrheitsbeschlusses schließen wenig technikaffine Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer von der Mitbestimmung über ihr Eigentum aus, was sich insbesondere zu Lasten älterer Menschen auswirken dürfte. Wohnungseigentümerversammlungen sind zudem mit Hauptversammlungen nicht vergleichbar. Eine interessensgerechte Alternative könnte sein, die Durchführung hybrider Versammlungen als flexible, bedarfsgerechte Lösung künftig zu erleichtern.

Die Erweiterung der ausnahmsweisen Übertragbarkeit beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten in § 1092 Abs. 3 Satz 1 BGB auf Dienstbarkeiten zum Betrieb von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie (EEG-Anlagen) bedarf nach unserer Einschätzung einer Nachschärfung. Ohne die Regelung von Übergangsvorschriften für bereits bestehende Dienstbarkeiten ergeben sich Rückwirkungsproblematiken. Entsprechende Bedenken ergeben sich aufgrund der Verweisung auf die wandelbare Legaldefinition in § 3 Nr. 21 EEG.

Im Einzelnen:

A. Beschlusskompetenz zu virtuellen Wohnungseigentümerversammlungen

§ 23 Abs. 1 Satz 2 WEG sieht vor, dass einzelne Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer virtuell an einer Präsenzversammlung teilnehmen können, wenn die Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer (mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gemäß § 25 Abs. 1 WEG) einen entsprechenden Beschluss fassen. Eine rein virtuelle Versammlung ohne Teilnahmemöglichkeit in Präsenz ist derzeit höchstens dann möglich, wenn die Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer – einstimmig – eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben.[1]

§ 23 Abs. 2a Satz 1 WEG-E sieht nun die Möglichkeit vor, dass Versammlungen innerhalb eines Zeitraums von bis zu drei Jahren ausschließlich virtuell stattfinden (können), wenn die Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer mit mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen einen entsprechenden Beschluss fassen. Diese Beschlusskompetenz ermöglicht es somit erstmals einer Mehrheit der Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer, die Präsenzversammlung insgesamt (für einen begrenzten Zeitraum) zugunsten einer reinen Online-Versammlung abzuschaffen. Auch die überstimmte Minderheit ist in diesem Fall gezwungen, ihre Eigentumsrechte in der Online-Versammlung wahrzunehmen.

Diese Schaffung einer Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer für rein virtuelle Wohnungseigentümerversammlungen im WEG sehen wir in der vorgeschlagenen Ausgestaltung als problematisch. Bemühungen des Gesetzgebers, die Möglichkeiten der Digitalisierung in allen Lebensbereichen zu nutzen, halten wir grundsätzlich für begrüßenswert. Sie sollten allerdings die betroffenen Interessen in Einklang bringen, Härten vermeiden und gezielt in solchen Situationen erfolgen, die hierfür geeignet sind.

I. Beschneidung der Mitbestimmungsrechte nicht-technikaffiner Eigentümer

Das Recht zur Teilnahme an der Wohnungseigentümerversammlung gehört zum Kernbereich des Wohnungseigentums und damit zu den unentziehbaren Rechten eines Wohnungseigentümers.[2] Auch für wenig technikaffine, meist ältere Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer muss daher die Möglichkeit zur Teilnahme an Wohnungseigentümerversammlungen bestehen. Gerade ältere Menschen haben nicht selten noch nie an einer Videokonferenz teilgenommen und sind dazu ohne fremde Unterstützung schon mangels technischer Ausstattung und Internetzugang auch nicht in der Lage. Reine Online-Versammlungen könnten sie de facto von der Mitbestimmung ausschließen. Auch technische Unterstützung etwa im Familien- und Freundeskreis kann nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden, zumal sämtliche Eigentümerinnen und Eigentümer die Möglichkeit haben müssen, ihre Rechte auch persönlich ausüben zu können. Eine Beschlussmehrheit von 75 Prozent der abgegebenen Stimmen als Hürde zur Abschaffung der Teilnahmemöglichkeit in Präsenz erscheint nicht ausreichend, um dies für alle Eigentümerinnen und Eigentümer zu gewährleisten.

An anderer Stelle weist der Entwurf mit Bezug auf die Ziele der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen“ darauf hin, dass Verfahren zur Entscheidungsfindungen „inklusiv, partizipatorisch und repräsentativ“ gestaltet sein sollen.[3] Eine Versammlungsform, die – jedenfalls derzeit noch – gerade ältere Menschen von der Entscheidung über ihr Eigentum ausschließt, genügt dem gerade nicht.

II. Wohnungseigentümerversammlung nicht mit Hauptversammlung vergleichbar

Anders als in der Begründung des Referentenentwurfs impliziert, ist die Eigentümerversammlung auch nicht mit der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft vergleichbar.

Hauptversammlungen gehen umfangreiche Planungen seitens des Veranstalters voraus, Redebeiträge werden von den Beteiligten üblicherweise vorbereitet; ihr Ablauf folgt regelmäßig der vorgegebenen Struktur. Eigentümerversammlungen sind dagegen geprägt von der spontanen Interaktion der Anwesenden; ihre Ergebnisse sind weniger vorhersehbar. Zudem handelt es sich bei Wohnungseigentum in aller Regel um zentrale Vermögenswerte von erheblicher wirtschaftlicher und – im Fall der Selbstnutzung – persönlicher Bedeutung für die jeweiligen Eigentümerinnen und Eigentümer. Das eigene Wohnungseigentum stellt oft das Kernelement der privaten Vermögensplanung dar; wird das Wohnungseigentum selbst genutzt, ist sogar der über Art. 13 GG verfassungsrechtlich besonders geschützte höchstpersönliche Lebensmittelpunkt betroffen. Auch der Entwurf erkennt daher zu Recht die besondere Bedeutung an, die das Wohnungseigentum typischerweise für viele Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer hat.[4]

So sind auch die Entscheidungen, die in einer Eigentümerversammlung zu treffen sind, in ihrer Bedeutung für die einzelnen Personen in der Regel von besonders hervorgehobener Bedeutung. Die Durchführung von Erhaltungs- und Erneuerungsmaßnahmen etwa kann zu hohen, ggf. auch existenzbedrohenden Sonderumlagen führen. Die Diskussion hierüber ist von gravierenderer Relevanz als die Auseinandersetzung über die Auszahlung von Dividenden und Boni.

III. Videokonferenz als Forum für kontroverse Themen nicht gleich geeignet

Zwar bestimmt § 23 Abs. 2a Satz 2 WEG-E, dass die virtuelle Wohnungseigentümerversammlung hinsichtlich Teilnahme und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar sein muss. Diese Vergleichbarkeit ist laut Entwurfsbegründung schon gegeben, wenn eine Videokonferenz durchgeführt wird, in der die Eigentümer ihr Rede-, Frage-, Antrags-, und Stimmrecht etc. ausüben können.[5] Hierbei handelt es sich um technische Anforderungen, die alle gängigen Online-Meeting-Tools (etwa durch Handhebefunktionen und die Möglichkeit zur Einbindung von Umfragen) grundsätzlich erfüllen.

Indes ist allerdings allgemein anerkannt, dass die Diskussion in Online-Formaten – jedenfalls derzeit – aufgrund der bestehenden strukturellen Unterschiede beider Formate nach den bisher gesammelten Erfahrungen kein vollständiges Äquivalent eines Gesprächs im Präsenzformat darstellen kann.[6] So lassen sich in Videokonferenzen die ungehinderte Rede und Gegenrede selbst bei dauerhaft gewährleisteter hoher Bild- und Tonqualität nicht gleichermaßen abbilden. Das Fehlen nonverbaler Signale erschwert die Kommunikation, was bei gegenläufigen Interessen dazu führen kann, dass Diskussionen oberflächlicher geführt und Themen weniger tief beleuchtet werden. Darunter kann letztlich auch die Entscheidungsqualität leiden. All das gilt erst recht bei Versammlungen mit einer Vielzahl von Teilnehmern – man denke etwa an große Anlagen mit hunderten von Eigentümerinnen und Eigentümern.

Gerade Wohnungseigentümerversammlungen dienen, wie dargelegt, oft dazu, gemeinsame Probleme zu besprechen und wirtschaftlich weitreichende Entscheidungen zu treffen. Videokonferenzen können dies jedenfalls bei streitigen Entscheidungen nicht vollumfänglich abbilden. Diejenigen Eigentümerinnen und Eigentümer, die Wert auf persönlichen Austausch legen, sollten daher weiterhin die Möglichkeit haben, sich physisch zu versammeln.

IV. Erleichterung hybrider Versammlungen als interessensgerechte Alternative

Einzelnen Wohnungseigentümerinnen und -eigentümern auf Wunsch eine virtuelle Teilnahme an Präsenzversammlungen zu ermöglichen, ist sinnvoll und zu begrüßen. Die Möglichkeit einer solchen hybriden Versammlung besteht bereits gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG. Hybride Versammlungen vergrößern die Mitbestimmungsmöglichkeiten derjenigen Wohnungseigentümer, denen eine persönliche physische Teilnahme (etwa wegen räumlicher Distanz, terminlicher Überschneidungen, Krankheit, etc.) nicht möglich wäre, ohne die Mitbestimmungsmöglichkeiten derjenigen Wohnungseigentümer zu beschränken, die an der Versammlung wie gewohnt in Präsenz teilnehmen wollen. Hybride Versammlungen tragen damit sowohl den Interessen des wenig technikaffinen ortsansässigen Rentners als auch den Interessen der weit entfernt lebenden, zeitlich eingespannten Berufstätigen Rechnung. Wenn sich alle Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft einig sind und es vereinbaren, sind im Übrigen bereits heute rein virtuelle Versammlungen möglich.

Es erscheint daher interessensgerecht, die Durchführung hybrider Versammlungen als flexible, bedarfsgerechte Lösung künftig zu erleichtern. Denkbar wäre etwa, dass das Gesetz eine hybride Versammlung schon dann erlaubt, wenn eine Minderheit (etwa von 25 Prozent der abgegebenen Stimmen) sie verlangt. Bislang ist hierfür ein Beschluss mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.

B. Übertragbarkeit beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten für Erneuerbare-Energien-Anlagen (§ 1092 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB-E)

Das Anliegen, bei EEG-Anlagen auf fremden Grund einen Wechsel des Anlagenbetreibers und damit verbunden eine Übertragung der für den Anlagenbetreiber bestellten beschränkten persönlichen Dienstbarkeit unkompliziert zu ermöglichen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch ergeben sich Rückwirkungsproblematiken, da keine Übergangsvorschriften vorgesehen sind.

I. Fehlen von Übergangsvorschriften

Der Entwurf sieht keinerlei Übergangsvorschriften für „Altfälle“ vor. Dies dürfte zur Folge haben, dass auch Dienstbarkeiten für EEG-Anlagen, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits bestehen, künftig übertragbar sein werden.[7] Das kann unter zwei Aspekten problematisch sein.

Zum einen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes der Grundstückseigentümerin oder des -eigentümers, die bzw. der die Dienstbarkeit zugunsten einer bestimmten juristischen Person oder rechtsfähigen Personengesellschaft in dem schützenswerten Vertrauen bestellt hat, künftig ausschließlich mit dieser Berechtigten bzw. ihren etwaigen Gesamtrechtsnachfolgern (§ 1092 Abs. 2 i. V. m. § 1059a BGB) zu tun zu haben.

Zum anderen greift die Neuregelung einseitig in austarierte Vertragswerke ein und verschiebt die Gewichte zwischen den Beteiligten. Die neugeschaffene Übertragungsoption kann in Wechselwirkung mit den komplexen Behelfslösungen treten, derer sich die Praxis bislang mangels einer Übertragbarkeit bedient. In der Folge kann es zu ungewollten Auswirkungen kommen. Um den Interessen des Finanzierungsgläubigers bei Ausfall des Anlagenbetreibers gerecht zu werden, werden in der Praxis etwa im Rang nach der Dienstbarkeit des Anlagebetreibers zusätzliche Dienstbarkeiten zugunsten des Finanzierungsgläubigers oder zugunsten einer von diesem zu benennenden dritten Person eingetragen.[8] Diese nachrangigen Rechte können eine künftig mögliche Übertragung der vorrangigen Dienstbarkeit des Anlagenbetreibers gegen den Willen des Finanzierungsgläubigers nicht verhindern. Unvorhergesehene und ungewollte Ergebnisse lassen sich dann nicht ausschließen. Um der Übertragung der Dienstbarkeit an fremde Dritte vorzubeugen, müssten sich Finanzierungsgläubiger in „Altfällen“ für den Sicherungsfall wohl nachträglich Ansprüche auf Übertragung der Dienstbarkeit einräumen und durch Eintragung einer Vormerkung an der Dienstbarkeit des Anlagenbetreibers dinglich sichern lassen.

Daher wird angeregt, entsprechende Übergangsvorschriften zu schaffen. So käme etwa in Frage, die Neuregelung nur auf beschränkte persönliche Dienstbarkeiten anzuwenden, für die der Antrag auf Grundbucheintragung nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt wurde.

II. Dynamischen Verweisung auf § 3 Nr. 21 EEG

§ 1092 Abs. 3 Satz 1 Nr.  1 BGB-E sieht eine Verweisung auf die Legaldefinition von EEG-Anlagen in § 3 Nr. 21 EEG vor. Sofern hierin eine dynamische Verweisung liegt, können sich die unter vorstehender Ziff. I beschriebenen Rückwirkungsproblematiken in gleicher Weise Stellen, wenn bislang nicht erfasste Technologien unter den Begriff EEG-Anlage gefasst werden.

Sofern im Interesse der Technologieoffenheit an einer dynamischen Verweisung festgehalten werden soll, könnte in § 1092 Abs. 3 Satz 1 Nr.  1 BGB-E etwa auf die Fassung des § 3 Nr. 21 EEG im Zeitpunkt der Stellung des Eintragungsantrags für die jeweilige Dienstbarkeit abgestellt werden.

 

[1] Vgl. Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 23 Rn. 32; Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 23 Rn. 124; BeckOGK/G. Hermann, 1.6.2023, WEG § 23 Rn. 188; BT-Drs. 20/2506, S. 35.

[2] Vgl. Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 23 Rn. 50 mwN., 136 f.; BT-Drs. 20/2506, S. 35.

[3] Vgl. S. 6 des Entwurfs.

[4] Vgl. S. 13 des Entwurfs.

[5] Vgl. S. 14 des Entwurfs.

[6] Vgl. Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 670, 674 f. mwN.

[7] So jedenfalls die wohl herrschende Meinung zu den bereits jetzt in § 1092 Abs. 3 BGB enthaltenen Ausnahmen, die ebenfalls ohne Übergangsvorschriften eingeführt wurden, vgl. MüKoBGB/Mohr, 9. Aufl. 2023, BGB § 1092 Rn. 26.

[8] Vgl. MüKoBGB/Mohr, 9. Auflage 2023, BGB vor § 1018 Rn. 8; Reymann, DNotZ 2010, 84, 111; Seitz, Beck'sche Online-Formulare Vertrag, Formular 8.3.4.




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