Notarinnen und Notare sind Vorreiter der Digitalisierung. Sie sehen innovative und disruptive Technologien als Chance, ihre öffentlichen Amtstätigkeiten weiter zu verbessern. Gleichzeitig gewährleisten sie die höchsten Standards in Bezug auf die präventive Rechtspflege, den Datenschutz sowie die Qualität ihrer rechtlichen Beratung. Vor diesem Hintergrund verfolgt die BNotK die digitale Transformation nicht nur aufmerksam, sondern gestaltet sie aktiv mit – wie bereits mit der Einführung notarieller Onlineverfahren geschehen. Einfache, schnelle und digitale Lösungen im Dienste von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen werden auch seitens der Europäischen Union vorangetrieben. Ein Beispiel hierfür stellt die Einführung des EUDI-Wallets (europäische Brieftasche für die digitale Identität) durch die Novellierung der Electronic Identification, Authentication and Trust Services (eIDAS)-Verordnung dar. Die Verordnung soll die grenzüberschreitende Verwendung digitaler Identitäten und damit verbundene vertrauenswürdige Dienste, wie das digitale Signieren, innerhalb der EU ermöglichen.
Digitale Brieftaschen bisher
Digitale Brieftaschen, oder E-Wallets, werden wegen ihrer Benutzerfreundlichkeit, Geschwindigkeit und zusätzlichen Sicherheitsfunktionen wie Verschlüsselung und biometrischer Authentifizierung bereits heute vielfach verwendet. In aller Regel werden sie als App auf dem Smartphone installiert. Benutzer können darin beispielsweise Kundenkarten, Bordkarten, Tickets, digitale Schlüssel sowie Zahlungsinformationen speichern und verwalten. Dank der in den meisten modernen Smartphones verbauten NFC-Technologie (Near Field Communication) können digitale Brieftaschen zudem für kontaktloses Bezahlen oder bei Zugangskontrollen eingesetzt werden.
Das EUDI-Wallet
Wer diese Inhalte mit dem vergleicht, was in der eigenen herkömmlichen Brieftasche zu finden ist, wird schnell feststellen, dass sie für den Notartermin nicht ausreichen würden. Wichtige offizielle Nachweisdokumente fehlen – insbesondere der Personalausweis. Mit Einführung des EUDI-Wallets soll diese Lücke geschlossen werden. Jeder EU-Mitgliedstaat muss bis November 2026 allen natürlichen und juristischen Personen ein EUDI-Wallet zur Verfügung stellen und als digitales Identifikationsmittel für öffentliche Online-Dienste akzeptieren. Hierzu muss das EUDI-Wallet bestimmte Mindestinhalte beinhalten können. Dazu gehört insbesondere ein digitaler Identitätsnachweis in der Form sog. Personenidentifizierungsdaten. Die Identitätsfeststellung soll somit ausschließlich aufgrund eines reinen Datensatzes möglich werden und – anders als die elektronische Funktion des klassischen Personalausweises – ohne auszulesende Plastikkarte erfolgen. Das EUDI-Wallet kann unmittelbar von einem Mitgliedstaat oder in dessen Auftrag bereitgestellt werden. Darüber hinaus kann es nach externer Bereitstellung von ihm anerkannt werden. Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass mindestens ein EUDI-Wallet kostenlos zur Verfügung steht.
Wie bereits erwähnt, muss das EUDI-Wallet ein digitales Identifizierungsmittel beinhalten können, welches insbesondere den Zugang zu öffentlichen und privaten Onlinediensten erleichtern soll, bei denen eine zuverlässige Identifizierung erforderlich ist. Die dafür benötigten Personen- und Organisationsidentifizierungsdaten werden von vertrauenswürdigen Institutionen – insbesondere Behörden – ausgestellt. Verlangt der Zugang zu einem von einer öffentlichen Stelle erbrachten Online-Dienst eine elektronische Identifizierung und Authentifizierung, so werden die öffentlichen Stellen auch das EUDI-Wallet akzeptieren. Für notarielle Onlineverfahren dürfte dies bedeuten, dass das EUDI-Wallet grundsätzlich als elektronisches Identifizierungsmittel akzeptiert werden wird. Dies ändert jedoch nichts an der im Beurkundungsgesetz vorgesehenen Zwei-Faktor-Authentifizierung, wonach die Notarin oder der Notar sich Gewissheit über die Person der Beteiligten zusätzlich anhand eines ihr bzw. ihm elektronisch übermittelten amtlichen Lichtbildes verschaffen muss. Die Pflicht, das EUDI-Wallet als elektronisches Identifizierungsmittel zu akzeptieren, gilt auch für einige von der eIDAS 2.0-Verordnung benannte private Anbieter – sog. vertrauende Beteiligte –, wie etwa solche aus dem Bankwesen, die verpflichtet sind, eine Online-Identifizierung mit starker Nutzerauthentifizierung vorzunehmen. Weiterhin sollen in dem EUDI-Wallet digitale Nachweise gespeichert werden können, deren Authentizität gewährleistet sein muss. Vorstellbar sind beispielsweise Personenstandsurkunden, Ausbildungszeugnisse, Gesundheitskarten, E-Rezepte und der Führerschein. In der Sprache der eIDAS 2.0-Verordnung sind das sog. Attribute, also Merkmale, eine Qualität, ein Recht oder eine Erlaubnis. Je nachdem, wie hoch das Vertrauensniveau sein muss, können sie als einfache oder qualifizierte elektronische Attributsbescheinigung ausgestellt werden. Die Ausstellung von qualifizierten elektronischen Attributsbescheinigungen erfolgt durch Vertrauensdienstanbieter, die speziell von der EU akkreditiert werden, um die nötige Vertrauenswürdigkeit zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund wird auch Platz für nicht-qualifizierte Attributsbescheinigungen, wie Kundenkarten und Tickets, sowie für noch unbekannte Einsatzfelder sein, da das EUDI-Wallet als breit angelegte digitale Infrastruktur viel Raum für innovative Nutzungsmöglichkeiten bieten soll.
Nationale Formvorschriften werden nicht berührt
Da auch privatrechtliche Dokumente wie Vollmachten zukünftig in dem EUDI-Wallet digital als Attribute hinterlegt werden können, ist es wichtig zu betonen, dass die eIDAS 2.0-Verordnung ausdrücklich nichts an nationalen Formvorschriften sowie damit verbundenen Rechtswirkungen ändert. Die eIDAS 2.0-Verordnung sieht auch vor, dass es möglich sein wird, mit dem EUDI-Wallet qualifizierte elektronische Signaturen zu erstellen, die dem Schriftformerfordernis genügen. Die Verordnung berührt nicht das Unionsrecht oder das nationale Recht in Bezug auf den Abschluss und die Gültigkeit von Verträgen.
Für Unternehmen
Speziell im Gesellschaftsrecht wird das EUDI-Wallet Platz sowohl für die EU-Gesellschaftsbescheinigung als auch für die digitale EU-Vollmacht der Gesellschaftsrechtsrichtlinie in Form der Digitalisierungsrichtlinie 2.0 bieten. Mit der digitalen EU-Vollmacht kann in grenzüberschreitenden Fällen wie beispielweise in Umwandlungsfällen oder bei der Gründung einer Tochtergesellschaft im EU-Ausland der Nachweis erbracht werden, dass eine Person rechtsgeschäftlich zur Vertretung einer Gesellschaft berechtigt ist. Auch hier sollte betont werden, dass nationale Formvorschriften unberührt bleiben, denn die digitale EU-Vollmacht wird gemäß nationalen rechtlichen Anforderungen erstellt. Sie lässt auch nationale Vorschriften über die Gründung von Gesellschaften und Beschränkungen der Ausübung von Vollmachten im Allgemeinen unberührt. Die EU-Gesellschaftsbescheinigung, ausgestellt vom jeweiligen Heimatregister, enthält die wichtigsten Informationen über ein Unternehmen und ist in allen anderen Mitgliedstaaten als "ausreichender Nachweis" (sufficient evidence) zu akzeptieren, womit eine widerlegbare Vermutung für die Richtigkeit der Informationen gemeint sein dürfte. Darüber hinaus führt die Europäische Kommission in ihrem aktuellen „Competitiveness Compass“ (Wettbewerbskompass) ein weiteres Projekt auf: das „European Business Wallet“. Aufbauend auf dem eIDAS-Rahmen, heißt es dort, wird das „European Business Wallet“ der Eckpfeiler für eine einfache und digitale Geschäftsabwicklung in der EU sein und Unternehmen eine nahtlose Umgebung für die Interaktion mit allen öffentlichen Verwaltungen bieten. Hier bleibt abzuwarten, was genau die Funktionen des Business-Wallets sein werden. Ein Legislativvorschlag soll im vierten Quartal 2025 präsentiert werden.
Europaweit einsatzfähig und sicher
Die EUDI-Wallets werden europaweit nach den gleichen Spezifikationen entwickelt. Jede Version des Wallets soll interoperabel sein und überall in der EU funktionieren. Technisch basiert das Wallet auf einer dezentralen Architektur, die Datenschutz und Sicherheit in den Vordergrund stellt. Nutzer behalten die volle Kontrolle über ihre Daten, die nur mit ausdrücklicher Zustimmung geteilt werden. Dieser Ansatz soll den hohen Datenschutzstandards der EU entsprechen. „Zero-Knowledge-Proofs“ ermöglichen Nutzern auch das Teilen nur derjenigen Informationen, die für einen Nachweis unbedingt erforderlich sind, bei Altersverifikationen beispielswiese „über 18 Jahre alt“.
Ausblick
Das EUDI-Wallet hat das Potenzial, nicht nur den Alltag zu erleichtern, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu stärken. Doch wie bei jeder technologischen Innovation wird sein Erfolg davon abhängen, wie gut das Projekt umgesetzt wird und ob es das Vertrauen der Nutzer gewinnen kann. Der Erfolg dürfte insbesondere davon abhängen, wie gut das Zusammenspiel der unterschiedlichen Institutionen der öffentlichen Verwaltung und der Privatwirtschaft funktioniert.